WaBis

walter.bislins.ch

Agoraphobie

Die Agoraphobie ist die schwerwiegendste Phobie. Sie tritt häufig zusammen mit der Panikstörung auf und beginnt in der Regel mit einer Reihe von Panikattacken.

Bei der Agoraphobie besteht nicht nur Angst vor weiten Plätzen (agora = Marktplatz), bestimmten Orten, Situationen oder Menschenansammlungen, sondern Angst davor, was dort passieren könnte, wenn man allein ist, keine schützenden und vertrauten Personen um sich hat oder keine Fluchtmöglichkeit besteht. Das zentrale Gefühl ist: «Du sitzt in der Falle». Man fühlt sich wildfremden Menschen ausgeliefert.

Dieses Grundgefühl setzt eine körperliche Stressreaktion in Gange, die zu mancherlei unangenehmen Symptomen wie Herzrasen, Zittern, Schwindel, Schweissausbrüche, Schwächegefühle, Entfremdungsgefühle, Erstickungsgefühle, Herzstechen usw. führt. Diese Symptome lassen sich nicht willentlich kontrollieren und machen Angst, da sie der Situation nicht angemessen sind und man daher befürchtet, in Ohnmacht zu fallen, verrückt zu werden oder gar einen Herzinfarkt zu erleiden. Diese Befürchtungen wiederum steigern die Stressreaktion des Körpers und damit die Symptome in einer Art Teufelskeis immer weiter, bis es zur befürchteten Panikattacke kommt, wenn man der Situation nicht entfliehen kann.

Auswirkungen einer Agoraphobie

Die Angst vor dem eigenen Körper, das heisst die Angst, körperliche oder psychische Symptome nicht mehr kontrollieren zu können, ist so dominant, dass weder vernünftige Argumente, noch positiv gemeisterte ähnliche Situationen etwas fruchten - die agoraphobische Angst bleibt. Für den Agoraphobiker scheint der einzige Ausweg das Verlassen und das zukünftige Vermeiden solcher und ähnlicher Situationen. Gemieden oder nur mit Unbehagen ertragen werden daher folgende Situationen:

  • Aufenthalt in öffentlichen Räumen, besonders wenn diese überfüllt sind (Geschäfte, Kirchen, Kinos, Behörden, Krankenhäuser, Gaststätten, Friseursalon)
  • Benutzung öffentlicher Verkehrsmitteln (Busse, Strassenbahnen, U-Bahnen, Züge, Flugzeuge, Schiffe), Liftfahren, Schlangestehen
  • Aufenthalt im Freien bzw. Reisen, insbesondere allein in unbekannten Gegenden
  • Das ausgeprägte Vermeidungsverhalten führt oft zu einem totalen Rückzug in die eigene Wohnung. Doch auch hier kann das Gefühl der Sicherheit verloren gehen durch die Angst vor dem Alleinsein, wo die beschützende Wirkung vertrauter Personen fehlt.

Eine Agoraphobie zu haben bedeutet, ständig auf der Suche nach Sicherheit zu sein, wenn man sich potentiell bedrohlichen Situationen aussetzen soll. Sicherheit gibt die Anwesenheit vertrauter Personen (Partner, Kinder) oder von Haustieren (Hund), die Mitnahme von Medikamenten, etwas zum Festhalten, ein Handy, die räumliche Nähe einer Apotheke, eines Krankenhauses oder einer Arztpraxis, das Vorhandensein von Fluchtwegen usw.

Ursachen einer Agoraphobie

Die Probleme von Menschen mit einer Agoraphobie dürfen nicht reduziert werden auf eine Furcht vor agoraphobischen Situationen. Die Angst ohnmächtig zu werden, physisch zusammenzubrechen, psychisch aus dem Tief nicht mehr herauszukommen, geistig durchzudrehen, keinen Ausweg mehr zu wissen, buchstäblich «in der Falle zu sitzen» stellt die Reaktion auf reale und nicht nur auf befürchtete Umstände dar. Traumatisierende Erlebnisse aus früherer Zeit werden in neuen Situationen immer wieder gefürchtet.

Konkrete existentielle Verwundungen haben dazu geführt, dass das frühere Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten verloren gegangen ist, sodass man sich allen weiteren potentiellen Bedrohungen der eigenen Person schutzlos ausgeliefert fühlt. Allein gelassen zu sein – eben auch in agoraphobischen Situationen – aktiviert die fundamentale Erfahrung von Hilflosigkeit, Ausgeliefert-Sein und Geborgenheitsverlust.

Eine kankheits- oder genetisch bedingte erhöhte Stressempfindlichkeit, gepaart mit mangelndem Urvertauen oder erlebter Hilflosigkeit (z.B Trauma) sind die häufigsten Ursachen für das Entwickeln einer Agoraphobie.

Wie entsteht eine Agoraphobie?

Eine Agoraphobie entsteht meist nach folgendem Schema:

  • An einem bestimmten vorher neutralen Ort tritt eine erste Panikattacke oder eine panikähnliche Reaktion (z.B. Übelkeit, Schwindel) auf. Dem vorausgegangen ist meistens eine längere psychosoziale Belastungssituation, die mit dem Ort der Panikattacke nichts zu tun hat.
  • Die panische Reaktionsbereitsschaft nimmt zu – vor allem durch die Erfahrung, dass durch das plötzliche Verlassen des Ortes die Symptomatik sofort verschwindet und die Erkenntnis, dass das Meiden des Ortes eine neuerliche Panikattacke verhindert.
  • Wenn keine sinnvollen Bewältigungsstrategien zur Verfügung stehen, werden ab nun auch ähnliche Situationen «zur Sicherheit» gemieden – statt etwa vorher nur der Bus werden nun alle öffentlichen Verkehrsmittel als gefährlich angesehen. Man spricht von einer zunehmenden Generalisierung der gefürchteten Orte – vor allem, wenn tatsächlich auch anderswo eine Panikattacke aufgetreten ist.
  • So genannte «Sicherheitssignale» (z.B. Vertrauenspersonen, Medikamente, Alkohol, Handy) werden zur einzigen Garantie gegen agoraphobische Ängste. Sie schwächen das Vertrauen in die eigenen Handlungsmöglichkeiten immer mehr, der Bewegungsradius wird enger und enger, bis hin zur massiven Beeinträchtigung der sozialen und beruflichen Funktionsfähigkeit und der völligen Abhängigkeit von bestimmten Bezugspersonen.

Die wesentlichsten Therapieziele sind daher die Verbesserung des Sicherheitsgefühls und der Aufbau von Kompetenz.

More Page Infos / Sitemap
Created Freitag, 2. März 2012
Scroll to Top of Page
Changed Freitag, 16. Mai 2014