Die Natur wählt aus allen theoretisch möglichen Flugbahnen immer jene aus, bei welcher die Wirkung den kleinst möglichen Wert hat. Man spricht daher vom Prinzip der kleinsten Wirkung (principle of least action) oder vom Hamiltonschen Prinzip.
Dieser Beitrag veranschaulicht in interaktiven Grafiken, wie sich Abweichungen von der wirklichen Flugbahn in der Wirkung zeigen.
In der interaktiven Grafik auf dieser Seite wird das Prinzip der kleinsten Wirkung am Flug eines Teilchens in einem homogenen Gravitationsfeld gezeigt. Dazu kann die normalerweise parabelförmige Flugbahn unter Einhaltung bestimmter Rahmenbedingungen in Form und Geschwindigkeitsverlauf variiert werden. Die Rahmenbedingungen lauten, dass jede Flugbahn zum Zeitpunkt t = 0 beim Startpunkt (0, 0) starten und zum Zeitpunkt t = te am Endpunkt (s, 0) enden muss. Damit die Wirkungen der variierten Flugbahnen miteinander verglichen werden können, müssen Parameter wie Gravitation g und Masse m für diese Flugbahnen dieselben Werte haben.
Für die mit den Schiebereglern Flugbahn-Variationen eingestellten Flugbahnen wird jeweils die Wirkung berechnet und als oranger Balken mit rotem Pfeil-Marker rechts in Grafik 2 dargestellt. Der schwarze Marker zeigt den kleinstmöglichen Wert der Wirkung für die gewählten Rahmenbedingungen an. Wenn der rote und der schwarze Marker exakt auf gleicher Höhe sind, was mit einer weissen Füllung der Marker angezeigt wird, ist die Flugbahn mit der kleinsten Wirkung eingestellt. Das ist dann jene Flugbahn, welche in der Natur unter den gewählten Rahmenbedingungen beobachtet wird.
(t) | Zeitpunkt für berechnete Werte |
p | Lineare Variation der Höhe der Flugbahn |
py, ny | Sinus-Variation der Flugbahn in Y-Richtung |
px, nx | Sinus-Variation der Flugbahn in X-Richtung |
pv, nv | Sinus-Variation der Geschwindigkeit |
te | Flugdauer |
s | Horizontale Flugstrecke |
g | Gravitation |
m | Masse des Objektes |
h0 | Bezugshöhe der potentiellen Energie |
Die orange Fläche unter der roten Kurve ist das Integral über diese Kurve, also das Integral des Lagrangien und entspricht somit der Wirkung. Achtung: Flächen oberhalb der horizontalen Achse zählen positiv, Flächen unterhalb der Achse negativ.
Flugbahnen: Um die Wirkungs-Werte verschiedener Flugbahnen vergleichen zu können, müssen alle diese Flugbahnen zur Zeit t = 0 beim Startpunkt (0, 0) beginnen und zur Zeit t = te beim Endpunkt (s, 0) enden. Das heisst, dass nicht nur die Flugbahnen Rahmenbedingungen unterworfen sind (gleicher Start- und Endpunkt für alle), sondern auch die Geschwindigkeiten (gleiche Flugdauer für alle). Zwischen diesen Rahmenbedingung dürfen aber die Bahnen beliebige Wege und Geschwindigkeitsverläufe
Der Geschwindigkeitsverlauf
Von der Natur abweichende Flugbahnen können nur durch entsprechende zusätzliche Beschleunigungen, d.h. entsprechende Schubkräfte erreicht werden. Diese Kräfte werden in der Grafik 1 durch einen roten Pfeil dargestellt, wenn die Checkbox Schubkraft markiert ist.
Die Beschleunigung
Die Anfangsgeschwindigkeit einer Flugbahn ist durch ihren Geschwindigkeitsverlauf, welcher derart sein muss, dass die Flugzeit te eingehalten wird, eindeutig festgelegt. Eine andere Anfangsgeschwindigkeit würde in einer anderen Flugbahn oder einem anderen Geschwindigkeitsverlauf resultieren. Es spielt jedoch keine Rolle, wie die Anfangsgeschwindigkeit zustande kommt.
Zu jeder Rahmenbedingung, d.h. zu jeder Kombination von Flugdauer te, Flugstrecke s und Gravitation g, gibt es in der Natur genau eine Flugbahn. Der Geschwindigkeitsverlauf entlang dieser Flugbahn ist gerade so, dass keine Schubkräfte nötig sind, um auf dieser Flugbahn zu bleiben. Damit ist auch die Anfangsgeschwindigkeit festgelegt, die zu genau dieser natürlichen Flugbahn führt.
Lagrangien und Wirkung: Von der Flughöhe und der Geschwindigkeit entlang der Flugbahn sind die kinetische Energie T(t) und die potentielle Energie V(t) abhängig. Daraus wird der Lagrangien L(t) = T(t) − V(t) berechnet. Das Integral des Lagrangien über den Zeitraum te ergibt die Wirkung W (orange Fläche).
Die Natur wählt zu den vorgegebenen Rahmenbedingungen aus allen möglichen Flugbahnen jene aus, bei welcher die Wirkung den kleinstmöglichen, d.h. den negativsten Wert hat. Diese Flugbahn ist in der Grafik 1 jeweils hellblau eingezeichnet.
Jede räumliche Abweichung und jede Abweichung des Geschwindigkeitsverlaufes von der natürlichen Flugbahn kann nur mit zusätzlichen Schubkräften erreicht werden. Dies erhöht in jedem Fall den Wert der Wirkung!
Die Masse m hat keinen Einfluss auf die Flugbahn. Dies deckt sich mit der Beobachtung, dass alle Körper gleich schnell fallen. Das Verändern der Masse ändert jedoch die kinetische Energie T(t) und die potentielle Energie V(t) und damit auch den Wert der Wirkung. Proportional dazu wird aber auch der Wert der kleinsten Wirkung verändert. Wenn Wirkung und kleinste Wirkung übereinstimmen, bleibt dies auch so, wenn die Masse verändert wird, auch wenn der Wert der Wirkung selbst ändert.
Die potentielle Energie V(t) = m · g · (h + h0) ist von einer Bezugshöhe h0 abhängig. Diese kann beliebig gewählt werden, wird in der Praxis jedoch Null gesetzt. h0 verschiebt die beiden Wirkungs-Pfeile nach oben oder unten, ohne ihren Abstand zueinander zu ändern. Das bedeutet, die Bezugshöhe wirkt sich nicht auf das Prinzip der kleinsten Wirkung aus.
Die nachfolgenden Berechnungen beschränken sich auf eine Parabel, bei der nur der Parameter p variiert werden kann. Damit lässt sich prinzipiell zeigen, wie die Grafiken berechnet werden.
Die effektiven und viel komplizierteren Formeln für die Grafiken auf dieser Seite sind auf der folgenden Seite aufgelistet:
Die unverzerrte Flugparabel in Grafik 1 hat folgende Formel, wobei p ein Parameter ist, der die Flughöhe bestimmt:
(1) |
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wobei' |
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(2) |
| ||||||||||||
wobei' |
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Beachte, dass bei diesen Formeln die Parabel immer in der vorgegebenen Zeit te durchfolgen wird und eine vom Parameter p vorgegebene Höhe erreicht. In Wirklichkeit ist die Höhe einer Parabel, welche in der Zeit te durchflogen wird, abhängig von der Gravitation g. Aber wir wollen ja sehen, wie das Prinzip der kleinsten Wirkung funktioniert und wie sich eine Abweichung von der Wirklichkeit in der Wirkung zeigt.
Bei einer vorgegebenen Flugbahn sind auch die Geschwindigkeiten vy(p,t) und vx(t) des Flugobjektes fest vorgegeben und einfach die Ableitungen nach der Zeit:
(3) |
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(4) |
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Die Geschwindigkeit ist ein Vektor, der sich aus den beiden Komponenten vx und vy zusammensetzt. Der Betrag der Geschwindigkeit ist:
(5) |
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Die Geschwindigkeit v(p,t) ist in Grafik 1 als grüner Pfeil und in Grafik 2 als grüne Linie eingezeichnet.
Die Beschleunigung ay(p,t) resultiert ebenfalls aus der vorgegebenen Flugbahn. Man erhält sie durch Ableiten der Geschwindigkeit vy(p,t) nach der Zeit:
(6) |
Man sieht, dass die Beschleunigung nicht mehr von der Zeit t abhängt, also konstant ist. Die X-Komponente der Beschleunigung ax ist Null, wenn die Geschwindigkeit vx konstant ist.
Wir können die Formel (6) nach p auflösen und erhalten dann jenen Parameter p = g / 2, welchen die Natur für die Parabel wählt, denn in der Natur ist die Beschleunigung ay gleich Minus die Gravitation g:
(7) |
Um die Wirkung zu berechnen, müssen wir zunächst den Lagrangien
(8) |
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Der Lagrangien
(9) |
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wobei' |
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Berechnen wir also die kinetische Energie T(p,t) und die potentielle Energie V(p,t).
Die kinetische Energie T(p,v) ist von der Geschwindigkeit
(10) | ||
| ||
mit |
Die kinetische Energie ist in Grafik 2 in der Farbe Cyan eingezeichnet. Die kinetische Energie ist im einfachsten Fall eine positive Parabel mit dem Minimalwert vx2.
Die potentielle Energie V(p,t) ist von der Flughöhe y(p,t) abhängig:
(11) |
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Die Flughöhe wird bezüglich der Referenzhöhe h0 gemessen. Die gesamte potentielle Energie ist daher die potentielle Energie von h0 bis y plus die potentielle Energie bei der Bezugshöhe h0.
Die potentielle Energie ist in Grafik 2 in der Farbe Magenta eingezeichnet. Die potentielle Energie ist im einfachsten Fall eine umgekehrte Parabel, die den Scheitelpunkt beim höchsten Punkt der Flugparabel hat.
Jetzt können wir den Lagrangien
(12) | ||
| ||
mit |
Der Lagrangien ist in Grafik 2 als rote Kurve eingezeichnet. Er ist im einfachsten Fall eine Parabel.
Die Wirkung W(p) ist schliesslich das Integral des Lagrangien
Achtung: Die Flächen oberhalb der Zeitachse zählen positiv und die Flächen unterhalb negativ.
(13) | ||
| ||
mit |
Da wir über die Zeit t integriert haben, kommt t in der Wirkung nicht mehr vor. Die Wirkung ist nur noch vom Parameter p der gewählten Flugbahn und den Konstanten m, g, te, h0 abhängig.
Die Wirkung W entspricht in Grafik 2 der orangen Fläche unter der roten Kurve. Der aktuelle Wert der Wirkung entspricht der Länge des orangen Balkens rechts daneben.
Um den Parameter p zu bestimmen, bei dem die Wirkung minimal ist, müssen wir die Wirkung nach p ableiten und gleich Null setzen:
(14) |
Die Ableitung der Wirkung ist dann gleich Null, wenn in (14) der Term in den runden Klammern Null wird:
(15) |
Nach dem Auflösen nach p erhalten wir die Stelle p = g / 2, an welcher die Wirkung minimal ist. Dies ist der gleiche Wert, den wir bei der Formel (7) erhalten haben! Die minimale Wirkung ist im rechten Balkendiagramm der Grafik 2 mit einem schwarzen Pfeil-Marker eingezeichnet.
Wie wir bei (15) berechnet haben, ist die Wirkung W(p) dann minimal, wenn wir p = g / 2 in (13) einsetzen. Nach etwas rechnen erhalte ich für die minimale Wirkung:
(16) |
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Hallo Walter,
Respekt! Ich finde deine Seite zur Erklärung des physikalischen Prinzips der Wirkung hervorragend, sowohl inhaltlich als auch didaktisch vorbildlich. Es steckt sicher viel Arbeit drin. Ich werde deine Seite meiner Tochter empfehlen, die gerade ihr Studium in Richtung Ingenieurwesen erweitert.
Danke und viele Grüße,
Peter
Vorbildhaft!
Unübertrefflich!
Nicht nur dieses Kapitel. . . .
Habe mich auch per E-Mail an Sie gewandt.
Wenn nur 10% der Professoren so gut erklären könnte wie Sie, lebten wir in einer anderen Welt.
Herzlichsten Dank!