In Raumstationen, die frei in einem Orbit um einen Planeten fliegen, herrscht Schwerelosigkeit. Dabei spielt es keine Rolle, in welcher Entfernung zum Planeten die Station kreist. Damit sie aber eine kreisförmige Umlaufbahn beibehält, muss sie je nach Radius der Umlaufbahn eine bestimmte Geschwindigkeit haben. Je grösser der Radius, umso niedriger ist die notwendige Geschwindigkeit.
Bei einem bestimmten Abstand vom Erdmittelpunkt ist die Geschwindigkeit gerade so gross, dass die Station die Erde einmal pro Tag umkreist. Diesen Orbit nennt man geostationär, weil die Station immer über dem selben Punkt der Erde schwebt, sofern die Umlaufbahn in derselben Ebene wie der Äquator liegt und denselben Umlaufsinn wie die Erde hat.
Wie sieht die Sache jedoch aus, wenn die Raumstation nicht frei fliegt, sondern an einer Stange fest mit dem Planeten verbunden ist und sich dadurch in jeder Höhe synchron mit dem Planeten bewegt? In diesem Fall fliegt die Raumstation umso schneller, je weiter sie vom Planeten entfernt ist. Wie wirkt sich das auf die Schwerkraft in der Station aus?
Betrachten wir das folgende Modell. Eine Stange sei am Äquator senkrecht auf der Erde montiert und reiche weit in den Weltraum hinaus. An dieser Stange kann ein Lift hoch und runter fahren.
Auf die Insassen des Liftes wirken in jeder Höhe r zwei entgegengesetzte Beschleunigungen:
(1) | ||||||||||
wobei' |
|
Die Beschleunigung a(r) bewirkt nach dem Newtonschen Gesetz die Gewichtskraft F = m · a, welche ein Insasse spürt. Dabei ist m die Masse der Person. Wenn die beiden Beschleunigungen ag(r) und az(r) gerade gleich gross sind, heben sie sich auf und die Insassen werden schwerelos.
Beide Beschleunigungen sind abhängig vom Abstand r vom Erdmittelpunkt. Je weiter man sich von der Erde entfernt, desto schwächer wird die Gravitationsbeschleunigung. Die Zentrifugalbeschleunigung hingegen nimmt mit dem Abstand von der Erde zu, denn je weiter draussen der Lift ist, umso schneller bewegt er sich auf seinem Orbit.
Nachfolgend möchte ich die entsprechenden Formeln aufführen und ein paar Berechnungen damit anstellen:
Die Anziehungskraft F zwischen zwei Massen kann mit dem Gravitationsgesetz von Newton berechnet werden:
(2) | ||||||||||||||||
wobei' |
|
Die zugehörige Gravitationsbeschleunigung ag erhalten wir über das zweite Gesetz von Newton:
(3) |
Setzen wir F aus (2) in die rechte Gleichung oben ein:
(4) |
Wir können m im Zähler und Nenner streichen und erhalten:
(5) |
| ||||||||||||
wobei' |
|
Die Gravitationsbeschleunigung hängt also nicht von der Masse m der Person ab und nimmt mit dem Abstand zur Erde im Quadrat ab.
Die Formel für die Zentrifugalbeschleunigung az erhält man durch zweimaliges Ableiten der Bewegungsgleichung des Liftes auf seiner kreisförmigen Umlaufbahn. Ich leite dies hier nicht her, sondern präsentiere einfach die Lösung:
(6) |
| |||||||||
wobei' |
|
Die Winkelgeschwindigkeit ω kann aus der Rotationsdauer T der Erde berechnet werden:
(7) | |||||||
wobei' |
|
Die Zentrifugalbeschleunigung az nimmt also bei konstanter Winkelgeschwindigkeit ω linear mit dem Abstand r zu.
Die Rotationsdauer T der Erde um ihre Achse ist nicht genau 24 Stunden, sondern nur 23 Stunden, 56 Minuten und 4,091 Sekunden, das sind 86 164,091 s!
Grund: Unsere Uhren messen die sog. Sonnenzeit. Für unsere Berechnungen müssen wir aber die sog. Sternzeit verwenden. Die Erde dreht sich bezüglich den Fixsternen in weniger als 24 Stunden einmal um sich selbst. Weil sich die Erde in 365,25 Tagen Sonnenzeit bzw. 366,25 Tagen Sternzeit einmal um die Sonne dreht, weicht die Sonnenzeit entsprechend von der Sternzeit ab:
Die Gesamtbeschleunigung a im Abstand r vom Zentrum des Planeten ist die Differenz von Gravitation ag (5) und Zentrifugalbeschleunigung az (6):
(8) |
| |||||||||||||||
wobei' |
|
Im folgenden Bild sind die Gravitation- ag und Zentrifugalbeschleunigung az in Abhängigkeit des Abstandes r aufgezeichnet (nicht Massstäblich):
Ich möchte ein paar konkrete Zahlen für den Planeten Erde berechnen. Dabei verwende ich folgende Konstanten:
RE | = 6,371 ·106 m | Mittlerer Radius der Erde [1] |
ME | = 5,9722 ·1024 kg | Masse der Erde [2] |
G | = 6,674 ·10−11 m3/(kg·s2) | Gravitationskonstante |
TE | = 86 164,1 s | Umdrehungsdauer der Erde (in Sternzeit) |
ωE2 | = 5,3175 ·10−9 s2 | Quadrat der Winkelgeschwindigkeit der Erde |
Mit der Formel (8) können wir nun die Beschleunigung an der Erdoberfläche, die sog. Erdbeschleunigung g berechnen:
(9) | |||||||||||||
| |||||||||||||
wobei' |
|
In den Formelbüchern findet man den Wert: g = 9,806 m/s2
Der oben berechnete Wert von g ist etwas kleiner als der Wert in den Formelbüchern. Dies kommt daher, dass wir den Wert für einen Ort am Äquator berechnet haben, wo die Zentrifugalbeschleunigung mit 0,0337 m/s2 am grössten ist. An den Polen ist dieser Wert Null und man würde dort für g einen Wert von 9,812 m/s2 erhalten, was wiederum zu viel ist. Je nachdem welchen Erdradius man verwendet (schwankt im Bereich von 6384,4 km bis 6352,8 km) [1] erhält man leicht unterschiedliche Werte.
Erdbeschleunigung in der Wikipedia
Wir haben mit (8) eine Formel, die uns die Beschleunigung berechnet, wenn uns der Radius r der Umlaufbahn bekannt ist. Für die Berechnung der geostationären Umlaufbahn kennen wir die Beschleunigung a(r0) = 0 und wir wollen den entsprechenden Radius r0 berechnen.
Wir nehmen also Formel (8) und setzen die Beschleunigung gleich Null:
(10) |
Nun lösen wir die Formel (10) nach r0 auf:
(11) |
(12) |
| ||||||||||||
wobei' |
|
Setzen wir nun die Daten der Erde ein:
(13) |
| |||||||||
wobei' |
|
Uns interessiert nun noch der Orbit, an dem eine negative Erdbeschleunigung a(rz) = −g entsteht. In diesem Orbit spürt der Liftinsasse das gleiche Gewicht wie auf der Erde. Allerdings steht er nun an der Decke des Liftes, da die Beschleunigung nach aussen wirkt.
Leider lässt sich die Formel (8) nicht einfach nach r auflösen. Wir können sie nur so umformen, dass eine kubische Gleichung für r entsteht:
(14) |
Bringen wir zuerst die rechte Seite auf einen Nenner:
(15) |
Beide Seiten mit r2 multiplizieren:
(16) |
Alle Terme auf eine Seite bringen und nach Potenzen von r ordnen. Damit erhalten wir eine kubische Gleichung:
(17) |
|
Wir möchten nun wissen, in welchem Radius rz die Beschleunigung a = −g wirkt. Dazu müssen wir in obiger Formel a = −g einsetzen.
(18) | |||||||||||||
wobei' |
|
Mit Hilfe eines Programmes zum Lösen von kubischen Gleichungen erhalten wir dann die Lösung für rz:
Löser für kubische Gleichungen - K. Rottbrand; 26 OKT 2007
(19) |
|
Der Lift müsste also fast 2 Millionen Kilometer weit nach oben fahren, damit wieder eine Beschleunigung wie auf der Erde herrscht!
Zum Vergleich: Der Mond hat einen mittleren Abstand von der Erde von 384 400 km [3]